
Bilder anschauen mit Mary Heilmann
Bilder betrachten, eine Retrospektive des Werks von Mary Heilmann, die derzeit in der Whitechapel Gallery in London zu sehen ist, ist entspannt, verspielt und tiefgründig. Heilmanns Werk besetzt nicht nur den Raum; es bewohnt ihn. Es verwandelt die Galerie in ein Zuhause. Abstrakte geometrische Malereien; figurative Darstellungen von Wellen und Linien auf der Straße bei Nacht; keramische Kugeln, die sich über eine Wand ausbreiten; pastellfarbene Strandstühle, die lässig herumliegen. In dem Moment, in dem Sie die Ausstellung betreten, wird Ihnen klar, dass Geschichten erzählt werden. Es fühlt sich weniger so an, als wären Sie in eine Kunstausstellung gegangen, sondern mehr so, als wären Sie in das gewaltige Baumhaus eines vertrauten Freundes gekrochen, wo Sie nun eingeladen sind, ihre Erinnerungen und Träume zu erkunden.
Erzählung und Vorstellungskraft in der Kunst von Mary Heilmann
Heilmanns Werk handelt von Konversation. Ideen werden zwischen den Arbeiten, zwischen Heilmann und ihrer Vergangenheit und Zukunft, zwischen all diesen Dingen und jedem Betrachter, der den Raum betritt, ausgetauscht. Looking at Pictures umfasst fünf Jahrzehnte von Heilmanns Karriere. Geboren und aufgewachsen in Kalifornien, erwarb sie 1967 ihren MA an der Berkeley. 1968 zog sie nach New York City und wurde von ihren Mitkünstlern willkommen geheißen, freundete sich mit Richard Serra und anderen legendären Persönlichkeiten an, während sie im Max’s Kansas City, einem ebenso legendären Treffpunkt, verkehrte. Der Sexismus gegenüber weiblichen Bildhauern inspirierte Heilmann dazu, mit dem Malen zu beginnen. Sie erinnert sich: „Ich habe das Handwerk der Ölmalerei nicht studiert; ich habe es mir im Laufe der Zeit angeeignet."
Mary Heilmann - Chinatown, 1976, Öl auf Leinwand
Mary Heilmann - JJ, 1986, Acryl und Aquarell auf Leinwand
Mary Heilmann, Whitechapel Ausstellung 2016, Ausstellungsansicht
Mehr narrative Stimmung einnehmen
Diese durchdachte Ausstellung behandelt die gesamte Evolution, die Heilmann als Künstlerin erlebt hat. Sie beginnt mit abstrakten, postmalerischen Arbeiten wie Corona Borealis (1970) und Chinatown (1976), die auf Minimalismus und die Farbstudien von Josef Albers verweisen. Dann, als Heilmann mehr Selbstvertrauen als Malerin gewinnt, sehen wir, wie ihre Arbeiten eine narrativere Stimmung annehmen. Ihre Titel werden persönlicher, und figürliche Elemente beginnen, sich unter den abstrakten Bildern zu zeigen. Diese Evolution wird eindringlich in Ghost Chair (1989) festgehalten. Aus der Ferne scheint diese ruhige, weiße Leinwand mit großen roten und gelben Blöcken wie eine Punkrock-Adaption eines geometrischen Rasters von Piet Mondrian. Aber aus der Nähe erscheint das subtile Bild eines fast durchscheinenden weißen Stuhls zwischen den lebhaften roten und gelben Rechtecken, gemalt als Hommage an Heilmanns Freunde, die an AIDS verloren gingen.
Mary Heilmann - Franz West, 1995, Öl auf Leinwand
Mary Heilmann - Blaue und Weiße Quadrate, 1997, Öl auf Leinwand
Mary Heilmann - Lifeline, 1990-94, Öl auf Leinwand
Zwischen Wahnsinn und Mathematik
Heilmanns Aufrichtigkeit und Vielfalt brachten ihr schließlich genug Anerkennung, sodass sie mehr Freiheit genoss, um zu schaffen und auszustellen, was immer für eine Art von Arbeit sie wollte. Sie kehrte zu ihrem skulpturalen Hintergrund zurück und schuf keramische Werke wie Piano (1983), verwobene, geformte Leinwände wie Lifeline (1990-94) und die so kalifornischen, traumhaften Strandstühle, die sowohl als ästhetische Objekte als auch als Orte der Erholung dienen, in denen die Betrachter entspannen und die anderen Werke betrachten können. Die Wirkung, Heilmanns Werk bis zu diesem Punkt an einem Ort zusammen zu erleben, ist vergleichbar mit dem Hören einer epischen Geschichte, die von einem vertrauten Freund in Teilen erzählt wird, durcheinander, aber irgendwie unheimlich Sinn macht.
Heilmann sprach in einem Interview mit Hyperallergic im Jahr 2013 selbst über dieses Gefühl und sagte: „…es ist wie Mathematik ohne Zahlen oder symbolische Logik. Ich stelle mir vor, dass Wahnsinn so sein könnte, als würde jemand die Welt betrachten, sie auseinandernehmen und wieder zusammensetzen, ohne jemals verbal zu kommunizieren… Aber dann kommen Leute wie Sie vorbei und wir führen ein Gespräch und ich finde heraus, wie ich Sinn machen kann.“
Mary Heilmann: Looking at Pictures ist jetzt bis zum 21. August 2016 in der Whitechapel Gallery in London zu sehen.
Vorgestelltes Bild: Mary Heilmann - Rennys rechte Geometrie einer Welle, 2011, Öl auf Holzplatte
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