
Gerhard Richters letztes großes Werk? Buntglas in einem Kloster
Gerhard Richter hat einen Katalog raisonné zusammengestellt, der nun fast 1000 bedeutende Werke umfasst, von denen viele als Meisterwerke gelten. Doch es ist sein jüngstes, und manche sagen, letztes, großes Werk – ein Satz monumentaler Buntglasfenster, die kürzlich im ältesten Kloster Deutschlands installiert wurden – das letztendlich als sein erfolgreichstes in Erinnerung bleiben könnte. Die 30 Fuß hohen Fenster ragen über den Altar der Abtei Tholey, einem Benediktinerkloster im süddeutschen Landkreis Sankt Wendel in Saarland. Die Abtei reicht mindestens bis ins Jahr 634 n. Chr. zurück und beherbergt derzeit 12 Mönche. Richter entwarf die Fenster basierend auf einem Projekt, das vor Jahrzehnten begann, in dem er ein früheres abstraktes Gemälde in vertikale Streifen unterteilt, dann die Streifen spiegelt und die gespiegelten Bilder wiederholt, um ein Muster zu schaffen. Er veröffentlichte 2011 ein Buch über sein Pattern-Projekt mit dem Titel Gerhard Richter: Patterns: Divided - Mirrored - Repeated. Das Buch zeigt, wie jede nachfolgende Teilung (beginnend mit 2, dann 4, dann 8 und so weiter, bis zu 4096) zu immer kleineren Streifen führt. Während die Streifen schrumpfen, wird das Muster, das ihre Wiederholung erzeugt, immer einfacher, bis es schließlich einfach zu Streifen wird. Für die Buntglasfenster begann Richter mit demselben Gemälde, das er für das Buch verwendet hat – einem Öl auf Leinwand aus dem Jahr 1990 mit dem Titel „Abstract Painting“ (Nummer 724-4 in seinem Katalog raisonné). Er teilte es in eine Reihe von vertikal gespiegelten Mustern und spiegelte dann jedes dieser Muster horizontal. Die drei Fenstergruppen enthalten jeweils fünf gespiegelte Abschnitte. Das fertige Werk ist völlig abstrakt, und Richter ist ein selbsternannter Agnostiker, dennoch verleihen die architektonischen Umgebungen den Fenstern einen unverkennbar religiösen Charakter. Diese Kombination von Referenzen, von symbolisch über mystisch bis abstrakt, legt den Grundstein dafür, dass die Betrachter die Fenster auf unendlich subjektive Weise interpretieren können.
Ein gemeinschaftliches Erlebnis
Während das Design der Fenster im Kloster Tholey Richter zugeschrieben wird, hätte das Projekt ohne die Unterstützung mehrerer anderer Parteien niemals realisiert werden können. Laut einem Bericht von Catherine Hickley für den New York Times News Service war es ein lokaler Organist, der den Sprung ins kalte Wasser wagte und Richter zuerst kontaktierte, um ihn zu bitten, die Fenster zu gestalten. Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Richter zustimmte, waren sich alle Beteiligten am Projekt sicher, dass die Abtei sich die Gebühr, von der sie überzeugt waren, dass Richter sie verlangen würde (da seine Gemälde routinemäßig für Millionen von Dollar verkauft werden), niemals leisten könnte. Doch zu ihrem Schock stimmte Richter nicht nur zu, das Projekt zu übernehmen, sondern bot seine Dienste kostenlos an. Andere Einheimische waren unterdessen bereits seit fast einem Jahrzehnt damit beschäftigt, großzügig die Renovierung der baufälligen, gotischen Abtei zu finanzieren, um sie in einen Zustand zu versetzen, in dem sie überhaupt die Installation neuer Fenster ermöglichen konnte.
Gerhard Richter’s neue Glasfenster in der Abtei Tholey. Mit freundlicher Genehmigung der Abtei Tholey
Und die Zusammenarbeit endete dort nicht. Nur die besten Handwerker hätten das komplizierte Fenstermuster, das Richter im Sinn hatte, bewältigen können. Das Team der Gustav van Treeck Glasstudios in München setzte eine Reihe von komplizierten und filigranen Techniken ein, von der Antike bis zur Gegenwart, um die Fenster zum Leben zu erwecken. Alles, von traditionellen Skizzen und Modellen bis hin zu digitaler Bildgebungstechnologie, wurde verwendet, um sie bei ihrer Arbeit zu leiten. Um die gleichen malerischen Effekte zu simulieren, die Richter in seinem ursprünglichen Gemälde erreicht hat, mussten die Glasarbeiter eine Kombination aus Malerei und Schichtung der Glasscheiben verwenden. Das Ergebnis dieser Teamarbeit ist ein Kunstwerk, das selbst mit den Kräften der Architektur und der Natur zusammenarbeitet, um seine Effekte zu erzeugen. Sonnenlicht und Raum reagieren auf die Fenster auf unvorhersehbare und dramatische Weise und initiieren ein sich entwickelndes ästhetisches Erlebnis, das für jeden offen ist, unabhängig von religiösen Zugehörigkeiten oder spirituellen Überzeugungen.
Die Muster der Geschichte
Viele Schriftsteller haben schnell darauf hingewiesen, dass dies nicht das erste Buntglasfenster ist, das Richter geschaffen hat. 2007 entwarf er ein massives, abstraktes Fenster für den Kölner Dom, das aus 11.263 farbigen Quadraten besteht und bei seiner Premiere von einigen verspottet und von anderen gelobt wurde. Ich habe jedoch das Gefühl, dass dieses neueste Buntglasfensterprojekt weniger mit dem Kölner Dom gemein hat und mehr mit einem anderen Richter-Projekt – den beiden monumentalen Werken, die er für den Reichstag gemalt hat. "Schwarz, Rot, Gold" (1999) ist eine 204 Meter hohe Ode an die deutsche Flagge. Gegenüber davon, von der anderen Seite der Lobby des Gebäudes aus betrachtet, ist "Birkenau" (2014) ein ebenso massives, abstrahiertes Gedenken an eine Reihe von Fotografien, die von Mitgliedern des Sonderkommandos, jüdischen Gefangenen, die mit dem Verbrennen der Leichen von Opfern der Nazi-Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau beauftragt waren, aufgenommen wurden.
Gerhard Richter’s neue Glasfenster in der Abtei Tholey. Mit freundlicher Genehmigung der Abtei Tholey
Es gibt offensichtliche Unterschiede zwischen den Reichstag-Gemälden und den Fenstern des Klosters Tholey. Zunächst einmal sind die Reichstag-Gemälde in Figuration und Symbolik verwurzelt, während die Fenster des Klosters Tholey völlig abstrakt sind. Was sie meiner Meinung nach dennoch ähnlich macht, hat mit ihrem Potenzial zu tun, Erinnerungen und Emotionen im Geist der Betrachter zu wecken. Mit seinen Reichstag-Werken deutet Richter auf die besten und schlechtesten Aspekte der deutschen Geschichte hin, während er den zeitgenössischen Deutschen viel Raum lässt, um zu entscheiden, was das bedeutet. Je mehr man die Werke studiert, desto mehr Schichten potenzieller Bedeutung werden offenbart. Ähnlich deuten seine Fenster des Klosters Tholey sowohl die regimentiertesten Aspekte der menschlichen Suche nach Transzendenz an – repräsentiert durch die Kirche – als auch die offensten Aspekte dieser Suche – repräsentiert durch die abstrakte Kunst. So wie bei den Reichstag-Werken können die Fenster der Abtei Tholey auf rein visuelle Weise erlebt werden, oder vielleicht werden sorgfältigere Betrachter mit einem Blick auf größere Geheimnisse belohnt. Beide Installationen sind meiner Meinung nach erfolgreich, weil sie dem hohen Ziel gerecht werden, das sich Richter einst selbst gesetzt hat: „die unterschiedlichsten und widersprüchlichsten Elemente in größtmöglicher Freiheit auf lebendige und tragfähige Weise zusammenzubringen.“
Vorschaubild: Gerhard Richter’s neue Glasfenster in der Abtei Tholey. Mit freundlicher Genehmigung der Abtei Tholey
Alle Bilder dienen nur zu Illustrationszwecken.
Von Phillip Barcio