
Ellen Carey und die Welt der Farben in der Fotografie
Eine Ausstellung neuer Arbeiten von Ellen Carey mit dem Titel Ellen Carey: Mirrors of Chance eröffnet diesen Monat in der Galerie Miranda in Paris. Die Ausstellung präsentiert einen neuen Werkzyklus von Carey mit dem Namen „Zerograms“. Seit mehreren Jahrzehnten gehört Carey zu den führenden experimentellen Fotografen der amerikanischen Avantgarde. 1996 prägte sie den Begriff „Photography Degree Zero“ für ein Werk, das ihrer Meinung nach einen neuen Ausgangspunkt für die fotografischen Künste markierte. Der Begriff bezieht sich direkt auf das Buch „Writing Degree Zero“ (1953) von Roland Barthes, das ebenfalls einen neuen Ausgangspunkt für die avantgardistische französische Literatur festlegte. Um zu „Photography Degree Zero“ zu gelangen, stellte Carey die inneren Abläufe ihrer vertrauten Kamera – einer Großformat-Polaroid – neu vor. Sie wies sie als Werkzeug zur Erstellung repräsentativer Bilder der realen Welt zurück und stellte sich stattdessen vor, wie sie verwendet werden könnte, um einfach Farbe und Licht auszudrücken. Aus ihren Experimenten entstanden zwei Werkzyklen: Pulls und Rollbacks, Namen, die sich auf die Methoden ihrer Entstehung beziehen. Doch in Wahrheit markierten ihre Pulls und Rollbacks nicht den Beginn ihrer Suche nach Abstraktion. 1992, vier Jahre zuvor, hatte Carey begonnen, abstrakte Fotogramme zu erstellen – eine fortlaufende Werkreihe, die sie „Struck By Light“ nennt. Fotogramme sind die ältesten Arten fotografischer Bilder. Sie entstehen aus einem einfachen, natürlichen Prozess, bei dem Licht und Schatten zusammenarbeiten, um ein Bild auf eine Oberfläche zu brennen. Die Werke der Serie „Struck By Light“ entstehen vollständig im Dunkeln. Carey manipuliert lichtempfindliche Materialien, ohne zu sehen, was sie tut, und verlässt sich nur auf ihre Instinkte. In dem Moment, in dem sie das Werk dem Licht aussetzt, wird das Bild fixiert. Die lebendigen Farben und abstrakten Formen, die sie im Dunkeln zum Leben erweckt, sind atemberaubend anzusehen. Sie lassen die Betrachter fasziniert zurück, erfreulich unsicher, was sie betrachten oder was das Motiv der Bilder sein könnte.
Chancen nutzen
Der Untertitel von Ellen Carey: Mirrors of Chance ist ein Verweis auf die zuvor erwähnte Methode, die Carey verwendet, um die Bilder in ihrer Serie „Struck By Light“ zu erstellen. Jede Form, jede Linie, jede Farbe und jeder Schatten, den sie manifestiert, ist eine direkte Reflexion eines informierten Risikos, das Casey im Dunkelkammer eingegangen ist. Das Wort Chance, wie in einem Glücksspiel, feiert auch die inhärente Möglichkeit des Scheiterns, die Carey immer in ihren Prozess begleitet. Sie könnte im Voraus alle richtigen Pläne machen und im Dunkeln all ihren Entscheidungen folgen, aber die Werkzeuge und Prozesse könnten sich dennoch widersetzen und ihre Vision an ihre eigene Natur anpassen. In diesem Raum zwischen Chance und Wahl öffnet sich die Welt der abstrakten Potenzialität. Dort ist Carey wie ein Jazzmusiker – ein improvisierender Performer, der innerhalb eines Rahmens arbeitet, aber offen sein muss für die Schönheit und Bedeutung der Überraschungen, die unterwegs auftreten.
Ellen Carey - Pull with Filigree, 2004. 203 x 55cm. © Ellen Carey und Galerie Miranda
Neben ihrer Serie "Struck By Light" zeigt die Galerie Miranda auch eine Handvoll großformatiger "Pulls" und "Rollbacks". Dies war eine gute kuratorische Entscheidung. Sie zeigt das wahre Wesen von Carey als Künstlerin. Die unzähligen Unterschiede und unerwarteten Momente in diesen Arbeiten erinnern mich an andere innovative Momente in der Geschichte der abstrakten Kunst. Sie rufen die Aufregung Helen Frankenthalers in Erinnerung, als sie begann, "soak-stain"-Gemälde zu schaffen, indem sie Farbe auf ungrundierte Leinwände auf dem Boden goss, ohne genau zu wissen, was sie erwarten sollte. Sie bringen auch seltsamerweise die Muster und Formen in den Sinn, die entstanden, als Kazuo Shiraga von der Gutai-Gruppe "Challenge to the Mud" (1955) aufführte. Diese Künstler kannten das Gefühl ihrer Materialien und die Grenzen ihrer eigenen Körper. Aber sie konnten die genauen Ergebnisse ihrer künstlerischen Handlungen nicht voraussehen, noch genau wissen, welches physische Relikt aus ihnen hervorgehen könnte. Ihre Bereitschaft, sich mit einer ästhetischen Position auseinanderzusetzen, die das Endergebnis unbekannten Faktoren überlässt – ihre vollständige Umarmung des Zufalls – lässt Carey den Geist dieser Künstler verkörpern.
Ellen Carey - Pull with Red Rollback, 2006. © Ellen Carey und Galerie Miranda
Einführung des Zerogram
Ein weiterer Höhepunkt von Ellen Carey: Mirrors of Chance ist, dass diese Ausstellung eine brandneue Serie von Arbeiten, die Carey kürzlich entwickelt hat, öffentlich debütiert. Sie nennt diese Arbeiten „Zerograms“. Sie tragen ihren Namen von der Idee, dass sie eine Verbindung der Methoden darstellen, die Carey für ihre beiden anderen Hauptserien verwendet. Der „Null“-Teil ist da, weil die Arbeiten in der Serie „Photography Degree Zero“ das Ergebnis von Careys Überwindung ihrer Meisterschaft einer etablierten fotografischen Technik sind. Sie beherrschte das Großformat-Polaroid und erfand dann neu, wofür die Werkzeuge und Techniken verwendet werden konnten. In ähnlicher Weise hat Carey, nachdem sie die Techniken, die in ihrer „Struck By Light“-Fotogramm-Serie verwendet werden, gemeistert hat, ihre Dunkelkammerprozesse neu erfunden. „Zerograms“ sind das Ergebnis. Sie verbinden die wesentlichen Aspekte ihrer beiden vorherigen Serien in dem Versuch, herauszufinden, wie ein neuer Typ abstraktes Fotogramm für das 21. Jahrhundert aussehen könnte.
Ellen Carey - Zerogram, 2018. © Ellen Carey und Galerie Miranda
Die erste Reaktion, die ich auf die "Zerograms" hatte, ist, dass sie ein Gefühl von Kontrolle ausstrahlen. Das markante, geometrische Nichts in ihrer Mitte zieht meinen Blick nach innen, nicht so, als würde ich etwas Leeres betrachten, sondern eher so, als würde ich zu etwas Unsichtbarem hingezogen. Die Schatten und Farben hingegen halten selbstbewusst ihren eigenen Raum. Im Gegensatz zu einem Rothko-Gemälde, das mich nach innen zu mir selbst zieht, ziehen mich die Farbflächen dieser "Zerograms" zu sich hin. Die Meisterschaft der Technik, die Carey mit diesen neuen Arbeiten zeigt, ist besonders evident in ihrer Tiefenschärfe, wo Farbe, Schatten und Nichts in ätherischen Schichten miteinander verschmelzen. Ihre Materialien scheinen ihre eigenen physischen Eigenschaften zu transzendieren, wodurch diese Bilder zu etwas mehr als nur Bildern werden. Ob ich sie einen neuen Nullpunkt nennen würde, bin ich noch nicht bereit zu sagen. Aber sie sind unbestreitbar herausfordernd sowohl für mein Auge als auch für meinen Verstand. Ellen Carey: Mirrors of Chance ist vom 7. September bis 20. Oktober 2018 in der Galerie Miranda in Paris zu sehen.
Vorschaubild: Ellen Carey - Zerogram, 2018. © Ellen Carey und Galerie Miranda
Von Phillip Barcio